Christoph Bernh.                     Welt und Glauben

Schlüter                                        Dritter Theil

1801 – 1884                                                  

Glauben und Gnade

                                                        

 

 

266

 

Ein Bettler saß an eines Heerwegs Rande,

Wo Menschen stolz vorbei die Straße führt’,

Gelähmt und blind; doch Gottes Geist entführt’

Die Seel’ ihm, zu vergessen Noth und Schande.

 

Sein Geist erwacht im sel’gen Geisterlande,

Wo des Dreiein’gen Thron die Himmel ziert,

Der ewig sich aus eig’nem Grund gebiert,

Und ringsum sieht er Engel vielerhande.

 

Er sieht, wie alle Zeit dort ebb’t und mündet

Im Ocean des seins, wo Gottes Schooß

Jahrtausende, wie Bächlein klein, entquillen.

 

Und dort bei Gott verklärt er wiederfindet

Sich und sein kleines, kurzes Erdenloos,

Und preist den Herrn, ergeben seinem Willen.

 

 

267

 

Seh’ ich auf’s Labyrinth vergang’ner Jahre,

Des Irrgewind’s seltsam verschlungne Krümmen,

Scheint drob ein höh’res Licht mir zu entglimmen,

Daß überall dort Führung ich gewahre.

 

Ob Lust, ob Schmerz die bange Seel’ erfahre

Beim Niedersteigen oder beim Erklimmen

Des rauhen Felsensteigs, o leise Stimmen

Bejahn: Gott führt uns, von der Wieg’ zur Bahre.

 

Hoch ob dem engen kleinen Demantring,

Der unser Sein umgrenzt und Schicksal heißet

Nach Menschenart, ein heilig Auge steht,

 

Und ob dem Aug’ ein Herz. O Seele schwing’

Zur Lieb’ dich auf, so dir dein Herz verheißet,

An’s Vaterherz, das ewig nicht vergeht.

 

 

268

 

Folgt’ ich mir selbst, konnt’ ich nichts vorwärts bringen;

Herrlich gelang’s, folgt’ ich dem höhern Zug:

So ist in mir denn Täuschung nur und Trug,

Und nur im Herrn liegt jegliches Gelingen.

 

Auf denn, im ew’gen Quell uns zu verjüngen

Der heil’gen Lieb’ und Weisheit, welche klug

Das Weltall ordnet; Rath’s hat sie genug,

Die lieblich herrscht und tief in allen Dingen.

 

Nicht fährlich ist’s, folgt man nur ihrer Stimme,

Die weise sorgt, durch Höhen, Mitt’ und Tiefen,

In Gegensatz und Mitte herrlich strahlt,

 

Sanft Leben ausführt aus des Todes Grimme,

Lichtgeister löset, so in Zornnacht schlieen,

Und Aller Herzen sanft entgegenwallt.

 

 

269

 

Nicht der Lerche gleich auf niedern Auen

Birg dein Nest, nein, gleich dem Wolkensohne

Bau’ es hoch am Fuß von Gottes Throne,

Ew’gen Lichtes Ausfluß stets zu schauen.

 

Mag gleich Segen dort auch niederthauen,

Sieht der Aar doch drauf herab mit Hohne;

Denk’ nicht, daß das Unglück dich verschone,

Schwingst du dich nicht auf ob Nacht und Grauen.

 

O wie stille weilt sich’s an der Pforte

Leichter, lichter, sel’ger Ewigkeit;

Hochentrückt der Sturmnacht dieser Zeit,

 

Wo kein Blatt im Friedenskranz verdorrte,

Wo, dem Ein’gen, Höchsten nur geweiht,

Unser Wort nur lebt dem ew’gen Worte!

 

 

270

 

Zum Berge Carmel steigt so leicht sich’s nicht;

Durch dunkle Nacht des Glaubens führt der Pfad,

Den noch kein Feigling je betreten hat,

Steil, rauh und dornenvoll, durch Feu’r zum Licht.

 

Eh’ noch die heil’ge Liebesflamme bricht

Durch Rauch und Qualm, bedarf’s entschloss’ner That

Zum Sieg; hier schafft’s der ew’gen Weisheit Rath,

Und heil’ge Gnade, wenn der Kämpfer siegt.

 

Durch Gluth geläutert nur glänzt rein das Gold.

Wer andern Wegs nach jenen Hütten strebt,

Wo Fried’ und Seligkeit für immer wohnen:

 

O Staub und Spreu nur wird des Thoren Sold!

Ihm Himmelslust nie tief die Brust durchbebt;

Nur Lieb’ in Leid will Liebe labend lohnen.

 

 

271

 

Hier ruht des Adlers heil’ge, leichte Hülle,

Der steilrecht in die Himmelslüfte drang,

Sich tausendmal zum Quell des Urlichts schwang,

Bald jubelnd laut, bald feiernd stumm und stille.

 

Ihm Loosung war: Geschehe Gottes Wille,

Erlöse uns von unsers Willens Zwang,

Befrei’ uns Liebe, fleht’ er Nächte lang

Mit heißen Seufzern, mit der Thränen Fülle.

 

Nur diesen Stein, dies Kreuz hat er erworben

Ob seinem Staub auf grünem Rasenhügel,

Der stark verschmähte Welt und Sündenreiz.

 

Er, der im Leben tausendmal gestorben

Der Heil’gen Tod auf der Verzückung Flügel,

Sein Denkmal ist das herrlichste, das Kreuz.

 

 

272

 

Wir jagen Schatten, die wir nicht erreichen,

Wir häufen Spreu, die bald zerstreut der Wind;

Schlechtaufgebaut die starken Burgen sind:

Die Mauern bald im Flug der Jahre weichen.

 

Nie rastend prägt Vergänglichkeit ihr Zeichen

Auf Neues, ehe noch viel Sand verrinnt;

Den Kindern gleich sind Alle wir gesinnt,

Die langend nach dem Regenbogen reichen.

 

Wer kennt den Schatz, der unvergänglich ist,

Die Burg der Zuflucht, die, wer fest vertraut,

Bis an das Ende sicher schützen wird?

 

Vergebens Reichthum, Kunst, Verstand und List!

Es stürzt der Bau. „Hoch stehn und fest gebaut

Die Mauern, welche Armuth aufgeführt.“

 

 

273

 

Sprich: Heil mir, daß ich eng’ und dürftig wohne;

Denn edle Armuth trägt der Gnade Siegel,

Sie schafft dem Geiste frische, freie Flügel

Und trägt des Himmels Freundesblick zum Lohne.

 

O sieh’ in Pracht die Frühlingsanemone

In reinem Perlenthau auf dürrem Hügel,

Ihr tiefes Blau, der Himmelsbläue Spiegel,

Schön, einer Fürstin gleich auf goldnem  Throne!

 

Nicht also schön würd’ ihre Jugend blühen

In fettem Thal, an Seees üpp’gem Strande,

Wo Wirbelstaub der Wege sie verletzte,

 

Der Fischer Fuß sie im Vorüberfliehen

Achtlos zerträt’ im Liliengewande,

Und Keins die Reize ihrer Unschuld schätzte.

 

 

274

 

Wenn er die Schäfchen scheert, sagt man, so sendet

Er linde Luft und sonnigwarmen Tag,

Der das geknickte Rohr nie vollends brach,

Vom Dochte, der noch glimmt, Verlöschen wendet:

 

Er ist’s, der Freude den Geschaffnen spendet,

Den Stolz zerschlägt, und hebt, was klein und schwach;

Er schenkt den Finken hellen muntren Schlag,

Die grausam roher Menschen Hand geblendet.

 

Er kann, hat er den Lichtkrystall getrübt,

Drin Erd’ und Himmel und der Wesen Schaar

Im Glanz des äußern Tages klar sich spiegeln,

 

Zum lichten Demant, so es ihn geliebt,

Den dunklen Fels des Herzens wandeln gar,

Das Träge selbst zum Himmelsflug beflügeln.

 

 

275

 

Ach Herz, wie triebst du in des Lebens Kahn,

Von wechselwinden, irrem Zug der Wogen

Bald hier, bald dort hin zu dem Strand gezogen,

Wo Blumen winken von der rechten Bahn:

 

Eh’ noch die Augen jenen Stern ersahn

Am ew’gen tiefazurnen Himmelsbogen,

Der keinem Fährmann Hoffnung je gelogen,

Und Rettung glänzt aus irrem, wirrem Wahn!

 

Ein Goldpokal, leer heil’gen Safts der Traube,

Erglänzt du; nur eitlem Schimmer zeigte

Dein Fühlen all’, bis heil’ger Gottesglaube

 

Vom Himmel dich erfüllt. Gen Norden neigte

Sich deine Nadel, die gleich Wetterfahnen

Bis jetzt geschwankt, mit heilig ernstem Mahnen.

 

 

276

 

Und weißt du auch, o Herz, wonach du langest,

Wenn jugendlich die frische innre Sehe

Dein Wille spannt und richtet ihn zur Höhe,

Daß nicht in dunkler Nacht du länger bangest?

 

Es ist das List, wonach du ewig rangest

Vergebens in der Sehnsucht herbem Wehe;

Der ew’gen Schönheit Sabbathruh’ und Nähe,

Bis sie dir rief, daß kühn du sie umfangest.

 

Verleugne dich: in Demuth dich verneinend,

Bejaht dich Gott, schaust du im heil’gen Spiegel,

Was wahr, was heilig, selig, ewig lebt;

 

Dreiein’gem Abglanz selig dich vereinend,

Umschattet von der ew’gen Schönheit Flügel,

Dein Wunsch nach anderm Gute nie mehr strebt.

 

 

277

 

Gott liebt, so scheint’s, auf dunklem Grund zu malen

Nach edler Künstler altem Fug und Sitten:

Sein Bogen glänzt auf dunklen Wolken, mitten

Aus Todesnacht läßt er die Glorie strahlen.

 

Mit innrem Tag’ mag äußre Nacht er zahlen,

Viel gibt er dem, so gern und viel gelitten;

Sanft kühlt er den, der heiß für ihn gestritten,

Hebt Niedriges und macht die Berg’ zu Thalen.

 

Was irdisch groß, ihm ist’s gleich leeren Schalen,

Kühn mag ihm nahn, was schwach und klein, mit Bitten;

Die Tugend in der harten Armuth Hütten

 

Glänzt schön vor ihm, mehr denn des Cherubs Strahlen;

Was sich gehärmt in lebenswier’gen Qualen,

Mit lichter Wonn’ wird einst er’s überschütten.

 

 

278

 

Sprich, Seele, wann der Tag dir angebrochen;

War’s, als zuerst du sahst des Tages Licht?

Wohl schwerlich glaub’ ich’s; auch selbst dann wohl nicht,

Als du zuerst das Wörtlein „ich“ gesprochen.

 

Halb erst erwacht mit freud’gem Herzenspochen

Warst du, als von geliebtem Angesicht,

Wie Morgensonnenstrahl durch Wolken bricht,

Dir Mutterlieb’ des Herzens Nacht durchbrochen.

 

Nein, ganz erwacht zur sel’gen Tageswonne

Warst du in dem Moment, wo über dir,

Abbild im Urbild, selig du dich schautest,

 

In dich hernieder sah die ew’ge Sonne

Der Geisterwelt, und Aug’ in Auge ihr

Du blicktest und unendlich ihr vertrautest.

 

 

279

 

Du wähnst, der Mensch hab’ völlig sich gefunden,

Spricht er: „ich bin“; zur Insel nur gemacht

Hat ersich erst, so er dies Wort gesagt;

Einsame Pein nur schlägt ihm tiefe Wunden.

 

Erst wenn auf’s Neu’ sich selber er entschwunden,

Indem sein ew’ges „du“ hernieder tagt

Mit Licht und Liebesstrahl in seine Nacht,

Mag er beglückt sein wahres Sein erkunden.

 

Im Andern lebt die Lieb’; in sich nur arm,

Weiß Leben, Licht und alles Reichthums Fülle

Sie nur in ihm, in sich nur dunkle Pein.

 

In des Geliebten Näh’ nur licht und warm

Fühlt sie lebendig sich entzückt und stille,

Mag nur ein Schmuck in seinem Kranze sein.

 

 

280

 

Ich sah die Welt mit äußerm Sinn’; Entzücken

Durchfloß mich ob dem Wunder, das ich sah;

Macht, weisheit, Güte, was ringsher geschah

Und ward, verkündete sich meinen Blicken.

 

Doch seit dem äußern Tag ich wandt’ den Rücken

Nach höh’rem Schluß, wie anders trat mir nah’

Das Weltgemüth: im ew’gen Spiegel, ha,

Wie sah ich andre Schrift und Lettern zücken!

 

Wie Mondnacht vor des Tages Glanz erblaßt,

Erbleichen macht der Sterne lichte Schaar

Die heil’ge Königin, wenn sie erstehet

 

Und steigt und siegt in Herrlichkeit: so fast

Der Sinne Dämmrung vor dem Tage klar

Der Geistersonne, die nie untergehet.

 

 

281

 

Sind’s Ideale, die zerrinnen können?

Die, schwindend vor dem Strahl der Wirklichkeit,

Vernunft, erfahrung, Nebeln gleich zerstreut?

Von reif’rem Sinn’sich unerbittlich trennen?

 

O Thoren dann, dem Scheine nach zu rennen,

Deß Glanz nur Knaben täuscht und doch erfreut,

Der Quellen lügend, leeren Schein nur beut:

Magst bess’ren Fuges sie Phantasmen nennen.

 

O du, des Lebens heilig Ideal,

Kraft, Hoheit, Liebe, Reichthum, Lichtesstrahl

Und warme Wirklichkeit: in Todesqual

 

Hast du dein selig Leben uns gegeben!

Fleug nicht von uns, wir flehn, laß unser Leben.

Nicht liebeleer, gleich nicht’gem Traum entschweben.

 

 

282

 

Gleich einer heil’gen Schönheit hinter Gittern

Birgt sie der Unschuld süße Jugendblüthe;

Dort strahlt sie sicher, wie der Sturm auch wüthe,

Das Eisenwerk schützt sie vor Urgewittern:

 

So meine Liebe hinter schwarzen Littern

Der rohen Schrift, ein Abglanz ew’ger Güte,

Sanft leuchtet aus bewegtestem Gemüthe

Ihr milder Strahl mit süßem Wonnezittern.

 

Das Eisen magst du schmähn, dran bechen, beugen;

Doch der Gefang’nen wirst du nimmer schaden,

Noch ihre zarte Himmelshuld verletzen

 

Durch rohes Wort und Hauch; nur einen Zeugen

Hegt drinnen sie der hohen Himmelsgnaden,

Darin sie froh sich ewig mag ergötzen.

 

 

283

 

Laß nicht Erdenlust die Wonne kränken,

Wenn den Himmelsbecher du gefunden,

Der gekostet heilet alle Wunden,

Werth, die ganze seele drein zu senken.

 

Wird er selig dich mit Kräften tränken

Jener Welt, bist du dem Herrn verbunden,

Spähe nicht noch Freuden zu erkunden

Außer ihm: er sei dein Dichten, Denken.

 

Mischt auch Wasser in den feur’gen Becher

Lautern, goldnen Wein’s, der perlend funkelt,

Der verständige, erfahrne Zecher?

 

Meide, was den innern Tag umdunkelt,

Sei vom süßen Trank, was herb’, geschieden,

Störe nicht den tiefen Gottesfrieden!

 

 

284

 

Bitter ist im Lenz des Baumes Rinde,

Herb’ der Saft in seinem Aufwärtssteigen

Zu den Blättern in der Krone Zweigen,

Herb’ die Knospe selbst im Frühlingswinde.

 

Und doch lösen, laue Lüfte linde

Leis’ ihr zartes Netzt, wie herrlich zeigen

Leuchtend, duftend, wie im Festesreigen,

Blüthen sich und Früchte so geschwinde.

 

Seel’, und ist gleich bitter rings das Leben,

Herb’ in dir selbst oftmals die Empfindung,

Traure nicht zu sehr in deiner Jugend,

 

Sonn’ und Wolk’ und Himmelswind wird geben

Dir der Blüthe Pracht, der Früchte Ründung,

Wachsthum, Reife, Geist und stille Tugend.

 

 

285

 

Wie das Meer nach Ungewitterwinden

Mälig sich beschwichtigt, bis mit Hügeln,

Bäum’ und Blumen sich die Ufer spiegeln

Klar in ihm, deß Grund nicht zu ergründen;

 

Wie in ihm, wenn Tageslichter schwinden,

Ew’ge Sterne an geheimen Zügeln

Hochgeführt am liebsten sich entsiegeln,

Fern von wo die Ströme rastlos münden:

 

O so mache, wie der Sturm vorüber,

Wo am fernsten dir der Weltlust Wehen,

Dich zum Spiegel ewiger Ideen.

 

Ohne sie stets nachtet’s trüb’ und trüber,

Seel’, um dich; du mußt in dir vergehen,

Dich verzehret ird’scher Sorgen Fieber.

 

 

286

 

Um Sterne kreisen Stern’; in Licht und Nacht

Geschieden ist das All: doch um den Einen

Sich kreisend ewig die Gestirne einen,

So auch die Geister, Zeugen seiner Macht.

 

Und ist’s, als ob im Menschen erst erwacht

der Schöpfung Aug’; im frohen Selbsterscheinen

Bejaht er seinen Herrn; die ihn verneinen,

Sind aus der Nacht nie an das Licht gebracht.

 

In Schwarz und Weiß ist Geisterwelt geschieden,

Nach Bös und Gut, nach Haß und lichtem Lieben;

Doch Alles steht zum Wunder seiner Macht.

 

Wer gott- und liebelos, kennt nicht den Frieden;

Sein Nam’ ist schwarz im Lebensbuch geschrieben,

Doch der Gerechten weiß in Schneeespracht.

 

 

287

 

O hohes Wunder, heil’ge Alchemei

Der ew’gen Lieb: in stiller Demuth Thal

Erglänzt göttlicher Hoheit Liebesstrahl

Und macht der Blumen Blüthenaugen frei,

 

Daß ihre Blüth’ ein Kind des Lichtes sei

Aus Tod und Nacht durch freie Liebeswahl,

Geliebtes sich im Liebenden zumal

Erkenn’ und liebe, ewig jung und neu!

 

Entäußernd sich des edlern, bessern Theiles

Von seinem wesen, es an den verlierend,

Der das Geschöpf zuvor geliebt, erst findet

 

Froh das Geschöpf die Quelle seines Heiles,

Des Abbild’s Strahl in Urbild’s Spiegel führend,

Wenn’s sich in Gott und Gott in sich ergründet.

 

 

288

 

Da nur mein Herz in deinem Herzen lebt,

Magst Freuden senden oder Schmerz und Leiden,

Magst gern von mir und von der Welt mich scheiden,

Obgleich mein Herz vor innrer Angst erbebt.

 

Befreit und jubelnd oftmals selig strebt

Entfesselt es zu dir und deinen Freuden;

Selbst unbewußt weilt es bei dir; dich meiden

Nur mag es nicht, das stets nur dich umschwebt.

 

O näher, denn ich selbst mir selbst, bist du

Stets meinem Leben, tief im innern Herzen

Bist du des Herzens Herz; drum scheide immer

 

Von sich die Seel’ und bringe sie zur Ruh’;

Sie bleibt bei sich, trennt sie von dir sich nimmer;

Leicht ist es so, sein Leben zu verscherzen.

 

 

289

 

Aus hartem Stein ward scharf mein Geist geschliffen;

Nachdem die welt und ich mich selbst bethört,

Hat Gott erbarmungsvoll mich selbst gelehrt,

Hart und doch mild, und dies hab’ ich begriffen:

 

Willst du, o Mensch, den Ocean durchschiffen

Des stürm’schen Lebens, ganz und unversehrt,

So üb’ Entsagung, bleibe unbeschwert;

Ein Stern nur schützt vor Klippen dich und Riffen.

 

Nicht ist er fern, in deinem Herzen spiegelt

Sich hell sein Glanz, und halb nur ist die Freude,

Ohn’ ihn genossen, nur ein trüber Schein.

 

Doch hat sein Friede still dein Herz besiegelt,

Bist du dir gleich in Wonne, wie in Leide,

Wohl elend oftmals, aber nicht allein.

 

 

290

 

An einem Quell nur kann ich mich erlaben,

Durch meinen Schild dringt nur ein Goldgeschoß;

Was rings man nennt erhaben, schön und groß,

Scheint klein wie Ysop mir und schwarz wie Raben.

 

O ew’ges Licht, nur du lehrst uns die Gaben

Recht schätzen, die du warfst in unsern Schooß;

Nur dein Besitz dünkt mich ein reiches Loos,

Und was ich hab’, will ich durch dich nur haben.

 

Beglückt das Herz vom Flammenpfeil durchbohrt,

Gesendet hoch herab von heil’gem Bogen:

O sel’ger Schmerz, dem jede Wollust weicht!

 

O Menschen, welches Ziel ihr auch erkort,

Von ihm durch Freud’ und Schmerzen angezogen,

Kennt ihr ihn nicht, habt ihr noch nichts erreicht.

 

 

291

 

Ich habe viel gesehn, gehört, gelesen,

Gedacht, erfahren, viel ist mir geschehn.

Und scheiden lernt’ ich, Eines zu verschmähn,

Das Andre wählend, Gutes von dem Bösen.

 

Und half der Geist mir mein chaotisch Wesen

Zu sondern, hergesandt aus heil’gen Höhn,

Schied er vom Dunkel ewig klar und schön

Das Licht, drin die Lebendigen genesen.

 

Hilf ferner mir, viel kannst du von mir fodern,

Daß ich besteh’, wenn einst die Flammen lodern

Des weltgerichts, wenn aufstehn, die da modern.

 

Laß mich, was du begannst in mir, vollenden,

Wie mir gegeben ward, auch Andern spenden,

Nicht von der Höh’ zum Pfad im Staub’ mich wenden!

 

 

292

 

Auch unser Thun gesammt, wer möcht’ es loben,

So hochgeadelt, glänzend es auch schien;

Ein Knecht des Staub’s, im Staube kriecht es hin,

Hebt sich davon kein Opferduft nach oben.

 

Groß nennt die Welt wohl Manches, doch erproben

Der Sache Kern genauer wir und kühn,

Wird es wie Nebelrauch der Hand entfliehn,

Die nach ihm greift: so nichtig ist’s gewoben.

 

Nur in Gebetes Opferguthen adelt

Sich Jegliches, und dauernden Gehalt

Gewinnt, was nichtig sonst der Strom verschwemmt;

 

Sei’s halb mit Recht gelobt auch und getadelt,

In jener Flamm’ erhält es die Gestalt

Der Ewigkeit, wo nichts die Rückkehr hemmt.

 

 

293

 

Vom Süd zum Nord, vom Norden her zum Süden

Zieht manch Gewölk, bald grau bald gold bestreift;

Bald leuchtend, bald verhüllt die Sonne läuft

Von Ost zum west und kennt nicht Rast noch Frieden.

 

Und hat am Tag sie das Gewölk gemieden

Und duklen Nebel, der von Regen träuft,

Der Abend naht und dunkle Nacht ergreift

Ihr Gluthgespann; so weilet Nichts hienieden.

 

Nur du, der Sonne Herr, der Wolk’ und Winde

Erschuf und lenkt, der leid und Freuden spendet,

Wie Tag und Nacht, du leuchtest immerfort.

 

O, daß im Wachen, wie im Traum, dich finde

Mein Herz, sein Gnügen sei in dir vollendet,

Du heil’ge Lichtgestalt, an jedem Ort.

 

 

294

 

Wie gestern, heut’ und stets währt seine Güte,

Wird ohne End’ sein treues Lieben sein;

Was sollten wir nicht unser Herz ihm weihn,

Anhangend ihm, mit freiestem Gemüthe?

 

In seinem Licht entsprießt die heil’ge Blüthe

Des höhern Seelenlebens: Angst und Pein

Fast überall, entfernt von seinem Schein,

Das Innre bald, auf daß sein Heil es hüte.

 

Ihm hingegeben, der Nichts ist, als Güte

Und grenzenlose Lieb’ und ew’ge Treue,

Gelangt aus Kerkernacht in Tagesfreie

 

Das Herz, das sonst vergebens viel sich mühte.

Leicht, heiter, fröhlich wird und stark sein Leben,

Der sich mit Kindessinn ganz hingegeben.

 

 

295

 

Dein Wort erklang gleich feurigen Accorden,

Herzschmelzend quoll’s aus tiefstem Herzensgrunde,

Wie Milch und Honig tönt es dir vom Munde,

So summt die Bien’ an duft’ger Rose Borden.

 

Es sprach vom Werden deß, der ganz entworden,

Von ew’gen Dingen bringend süße Kunde;

So spricht, so blickt nur, wer, die Liebeswunde

Im Herzen tief empfangend, frei geworden.

 

O solche Juigend, frei und frohes Weben

Und solche Innigkeit, solch frisches Streben

Wird Jugend nicht, wird Jahren nur gegeben.

 

Du im Verderben bliebest unverdorben,

Durch Leid hast du so leichtes Sein erworben,

Wie du, so lebt nur, welcher schon gestorben.

 

 

296

 

Es schaut in’s Herz, der Wesen Inn’res schaut,

Selbst ungesehn der Herr; mir ist es kund.

Es sieht der Mensch allein auf Hand und Mund

Und Miene, tadelnd oder auferbaut.

 

Doch Seinem Ohr wird jene Stimme laut

Heimlichen Willens, wer auf weitem Rund

Mit Himmel oder Höll’ im Liebesbund

Sein Tagwerk übt, dem Tag, der Nacht vertraut.

 

Im Mittelpunkte weiß der Erde Kraft

Sich von der Sonne Allmacht still getragen,

So drinnen ihr, wie außen Leben schafft;

 

Ich aber wag’s den Blick emporzuschlagen,

Nicht von mir selbst, noch von der Welt entrafft,

Gesehn mich wissend, darf ich Alles wagen.

 

 

297

 

Gott lieben, leicht ist’s, schwer oft Menschen lieben,

Licht ist des Herren schimmerndes Gewand

Und ew’ge Schöne; doch im ird’schen Land

Muß dunkle Sünd’ der Seele Lichtkleid trüben.

 

Doch willst du, Herr, sie Alle soll ich lieben,

Um Alle schlingen sich das heil’ge Band;

Ja, meine Liebe wird nicht anerkannt,

Will ich sie nicht an allen Menschen üben.

 

So überkleide mit dem Widerglanze

Von deiner Schöne sie, laß ihre Seelen

Im Strahl des heil’gen Blutes mir erscheinen,

 

Das sie erhellt. O zeig’ im Dornenkranze

Die Menschheit mir, die du gemocht erwählen,

Sie anzuziehn, und laß mich lieben, weinen!

 

 

298

 

Der Liebe Anfang ist die Furcht des Herrn,

Doch in vollkommner Lieb’ ist Furcht verschwunden:

Sie sehnt das Ziel heran der Erdenstunden

Und grüßt voll Hoffnung Gottes Tag von fern.

 

Des großen Tags der Zukunft denkt sie gern,

Mit ihm, der kommt, weiß sie sich eng verbunden;

Er trocknet alle Thränen, heilt die Wunden

Der Seinen all’, ein ew’ger Morgenstern.

 

Du sprichst: mein Herz kennt keine Furcht; doch fürchte,

Daß Liebe dir noch fern: Lieb’ ist die Blüthe

Der echten Furcht, ist gleich nicht Furcht in ihr;

 

Und wenn dein Herz dir ew’ges Heil verbürgte

An Liebe leer, doch ziehst du eine Niete

Und deine Zuversicht ist Wahnsinn schier.

 

 

299

 

Der Himmel fragt den Acker und das Land

Mit warmem Sonnenstrahl und mildem Regnen;

Und sieh’, wie Feld und Flur dem Wort entgegnen

Mit Bluth’ und Früchten, himmelwärts entsandt.

 

Wenn Pfleg’ und Schutz des Hirten Heerde fand

Und Weide, wird mit Weide sie begegnen

Des Hirten Treu’ und seine Mühe segnen?

Nein, Woll und Milch sind ihres Dankes Pfand.

 

Und fragt dich Herz der Himmel sanft mit Strömen

Des heil’gen Gnadenquells, mit Liebesstrahlen

Der Sonne ew’ger Wahrheit, Huld und Güte:

 

„Willst du nicht nehmen?“ willst du einzig nehmen,

Genießen, halten und nicht ’rück bezahlen,

Nicht eine Tugendfrucht, noch Dankesblüthe?

 

 

300

 

Mich schuf der Herr; so folgt, ich muß Ihm dienen,

Kann leugnen nicht, daß ich sein Sklave sei.

Mich liebt mein Gott; und sieh’, er schafft mich neu:

So darf ich Kind zu nennen mich erkühnen.

 

Und lieb’ ich ihn, schnell strahlt in meinen Mienen

Sein Gleichniß auf; o Jubel, ich bin frei!

Durch ihn, die Liebe, lieb’ ich brünstig, treu

Den Herrn und kann der Trennung Schmerzen sühnen.

 

O Hoffnungsfreude, innig, tiefbewußt

Lehrst du den Geist des hohen Tags gedenken,

Wo Aug’ in Aug’ wir uns in ihn versenken,

 

Vertrauend ewig jeglichen Verlust,

Wo, was nun Glaub’, in schwermuthsvoller Brust,

Wird Schau’n, uns ew’ge Wonneströme tränken.

 

 

301

 

Manch Schönes lockt, manch Reizendes gefällt

Und zieht mich an mit mächtigem Verlangen;

Kaum ist es mein, schon ist der Reiz vergangen,

Und im Genuß der Schönheit Glanz entstellt.

 

Wie mit der Frucht Beginn die Blüthe fällt,

Scheucht der Besitz die Herrlichkeit; mit Bangen

Wird anderm Guten sehnlich nachgehangen,

Das, bald gering, auch Anmuth nicht behält.

 

Laß denn vergebens mich nicht hier und dort

Nach manchem Guten suchen; sei das Gute

Der Mühe Preis, wo rings kein Gleiches, Festes.

 

Was Gut durch sich, sei meiner Hoffnung Hort,

Durch welches Alles gut. Auf denn, mit Muthe

Zum einz’gen Gut; es ist mein Wahres, Bestes.

 

 

302

 

Wer wandelt auf des Geizes rauhem Pfad,

Und irrt mit blut- und staubbedeckten Tritten

Auf stein’gem Grund und in der Dörner Mitten,

Kehr um, eh’ er versteint und es zu spat.

 

Wer steiler Wollust Schlangenpfad betrat

Und oft vom Felshang jäh’ zu Thal geglitten,

Kehr’ eilends um; genug hat er gelitten;

Fern der Harpy hör’ er auf Freundes Rath.

 

Wer auf der Selbstsucht eck’gen Wegen breit,

Schwerfällig, dünkelhaft noch tappt voll Stolz,

Kehr um, eh’ er den stolzen Nacken brach.

 

Schön ist der Tugend Pfad ist leicht und weit

In Schönheitslinien; Laster, wie von Holz,

Tappt strauchelnd nebenher voll Ungemach.

 

 

303

 

Ein schwarzer Zug; mit Leid und dumpfem Klagen

Begleitet man zur Stätte, wo der Tod

Monarchisch herrschet, die einst Allen droht,

Den Leib; es schwankt der sarg, leis ächzt der Wagen.

 

Ein schnöder Geizhals wird zur Gruft getragen,

Ein Wuchrer, dem viel Gold die Erde bot,

Vor dessen Strahl ihm schwand das Morgenroth

Der bessern Welt, beim Schinden und beim Plagen.

 

Gedämpfte Trommeln und Posaunen schweigen.

Manch leisen, stummen Fluch trägt bang’ der West

Vom Mund des Armen zu dem Ort der Ruh’.

 

Und ob dem Grab sich Frühlingszweige neigen,

Marienblümchen, Veilchen blühen läßt

Der Hügel; Schweigen deckt die Stätte zu.

 

 

304

 

Laß nicht die Welt so mächt’gen Zaubers schalten

Mit deinem Herzen; öde, kalt und lahm,

Mißtrauisch düster, ob in goldnem Rahm,

Macht dich ihr Bild, such’ es nicht fest zu halten.

 

Doch jugendwarm und licht wird sich entfalten

Dein Herz voll Zuversicht, wo Kraft ihm kam

Von jenem Bild, drin nur ein süßer Nam’

Geschrieben steht in Lettern, goldumstrahlten.

 

O jenes Bild der Welt entsaugt das Mark

Dem Herzen und Gebein, und macht dir’s schwer,

Für kurz ein Schlechtes, Kleines zu gewinnen.

 

Doch jener Name macht dich froh und stark,

Zum höchsten Gut zu streben leicht und hehr,

Das ewig lohnt und über alles Sinnen.

 

 

305

 

Auf hoher Bahre liegt die Jungfrau rein,

Im Gange steht die schwarze Todtenlade.

Die Sonne sank, schon dunkeln weit die Pfade,

Rings um das Haus glänzt Leichenfackelschein.

 

Horch, die Posaun’; ha, welch’ ein Klagverein!

Am heißen Tag gelockt zum Meergestade

Mit ihrer Dienerin zum eis’gen Bade

Traf sie der Tod; mög’ Gott ihr gnädig sein!

 

Hinweggerafft in erster Jugendblüthe,

In heimlich süßer Ahnung erster Liebe,

Eh’ wild noch war die Leidenschaft entlodert,

 

Das Herz voll Unschuld und voll Himmelsgüte

Schied glücklich sie aus wirrer Zeiten Trübe;

Früh vor den Thron der Ewigkeit gefodert

 

 

306

 

Es gleicht des Geistes Seele in der Zeit,

Wo des Gemüthes Schatten sie umfingen,

Gram, Sorg’ und Kummer ihren Fuß umschlingen,

Dem Wandrer irr’ in Waldes Einsamkeit.

 

Phantastisch knorr’ge Aest’ und Düsterheit

Der laub’gen Zweig’ und Ranken ihn umringen,

Wild drohend drüber dürre Arme dringen

Gespenstisch vor, wo hohl es ächzt und schreit.

 

Durch braune Nacht nur selten dringt ein Strahl

Des Himmels ein; zuweilen scheucht ein Wehn

Die träge Luft, wo feierlich und düster

 

Das Farrenkraut umragt ein Todtenmahl.

Fern, gleich der Zeit, hörst du die Mühle gehen;

Rings Moosduft, Waldgeruch und Blattgeflüster.

 

 

307

 

Trüb’ schlich ich hin längs blätterlosen Hainen

Im stillen Grund; der Regen war vorbei.

An allen Zweigen hing die Zauberei

Der Tropfen hell im abendlichen Scheinen,

 

Wie Thrän’ in Greises Aug’; ich mußte weinen.

Da sprengt mein Herz der Sehnsucht wilder Schrei,

Und war’s, als riß die Wolkenhüll’ entzwei

Und wollte mir die Herrlichkeit erscheinen.

 

O sel’ger Lichttag stiller Ewigkeit

Mit deinen Jubeln, deinen Freudenchören!

Wie schnell stürzt’ ich in schmachtende Verbannung,

 

Zurück in dieses Lebens Noth und Streit,

Nah’ ew’ger Nacht in Gram mich zu verzehren;

O dein Gedächtniß leihe mir Ermannung.

 

 

308

 

Ob gut, ob schlimm, stets gibt’s ein Wetter draußen,

Bei Sommers Abschied, Lenzes Wiederkehr,

Im Winterfrost, in Sommers Gluthenmeer,

Ob Mailuft weht, Septemberstürme brausen.

 

Sei’s Nacht, sei’s Tag, im Säuseln oder Sausen,

Wie wäre je dein Herz von Stimmung leer!

Gib denn die Brust zur Aeolsharfe her,

Sanft töne sie, ob Mild’, ob Strenge hausen.

 

Geschaffen ward die Seele, frei zu sein,

Doch auch mit Engeln, Menschen mitzufühlen,

Und tausendfach mit der Natur zu spielen

 

Im wechselnden Accord. Nicht soll mich’s reu’n,

Als Instrument zu tönen im Verein,

Mit tausend auf des Einen Preis zu zielen.

 

 

309

 

Bald gleicht mein Leben blum’gen Wiesenplane,

Bald läuft der Pfad durch öde Heiden hin;

Doch in den ew’gen Sternen forscht der Sinn,

Wie er auf Erden recht den Weg sich bahne.

 

Bald schwingt der Jubel seine heitre Fahne,

Bald scheint das Leben kaum mir noch Gewinn;

Doch wie es geht und wo ich immer bin,

Ich steure nicht allein im Lebenskahne.

 

Mein Leben ist ein Lied, hoch in den Sternen

Geordnet und gesetzt vom hohen Meister.

Kein gutes Lied ohn Übergang und Pause!

 

Mag selbst der Herr den Mißklang nicht entfernen,

Der noch zum Wohlklang führt im Chor der Geister:

Geduldet und gehofft, bis wir zu Hause.

 

 

310

 

Gleich jenem Thierchen, dessen zarten Schwingen,

Streckt sich’s zum Flug, ein süß Getön entschwirrt,

Metallisch an den Flügeldecken klirrt

Ihr Zittern, die es Fesseln gleich umringen:

 

So Psyche’s Lied, will sie sich aufwärts schwingen

Aus Kerkernacht, worein sie sich verirrt,

Voll Sehnsucht, tönend: laut erschüttert wird

Das Thongehäuf’ vom Flügelschlag erklingen.

 

Vom Morgenstrahl des ew’gen Tags erregt

Zu Himmelssehnsucht leis im tiefsten Innern,

Gibt sie, gleich Memnon’s Säule, ihren Klang;

 

Und wie die Nachtigall im Lenze schlägt

Die ganze Nacht, im Hoffen und Erinnern,

Singt in der Kerkernacht sie lebelang.

 

 

311

 

Sing’ von Liebe, eh’ das Leben flieht!

Laß das Lied zu deiner Harfe Saiten

Leicht beflügelt Aller Herzen weiten,

Einen Himmel tragen in’s Gemüth.

 

Doch verstummt die Harf’, verstummt das Lied,

Sing’ im Innern, wie in frühren Zeiten;

Laß das Herz nur den Gesang begleiten,

Dessen Harfe nicht von hinnen schied.

 

Aber sendet dir so großes Leid

Ew’ge Liebe, daß in Finsternissen

Selbst der innern Harfe Saiten rissen,

 

Die nicht einen reinen Ton dir beut:

O, dann sei zu denken doch beflissen

Jenes Lieds der Sel’gen, Ewigkeit.

 

 

312

 

Wessen Herz in Liebe nie gebebt,

Sprich von Lieb’ ihm nicht, du sprichst den Winden;

Nimmer wird dein Wort ein Echo finden

In der Brust, die an der Erde klebt.

 

Nur dem Herzen, welches aufwärts strebt

Zu der ew’gen Sonn’ aus feuchten Gründen

Sumpf’ger Thäler, brennend, loszuwinden

Sich von Erdentand, und kühn sich hebt:

 

O ihm sprich von Lieb’; in vollen Strömen

Laß in solch ein Herz die Fülle fließen

Deiner Brust und selig sich ergießen!

 

Es vernimmt dich freudig sonder Grämen,

Wird dein Wort, eh’ ausgesprochen, grüßen

Und entzückt dir es vom Munde nehen.

 

 

313

 

Säh’ ich erst in deiner Liebe Licht,

Herr, die Welt in einem Liebesstrahle,

O wie glänzte mir mit einem Male

Umgewandelt rings ihr Angesicht!

 

Ach, ich bin’s, nein, du, o Liebe, nicht,

Die es mir verwehrt; im Pilgerthale

Wallend reizt mich noch der Dinge Schale,

Die des Herzens Wille noch nicht bricht;

 

Ja, du harrst mit deiner Liebe Fluth

Unermeßlich an des Herzens Thoren,

Harrest, ob, der sich so sehr verloren

 

An die Welt, nicht endlich fasse Muth,

Dir zu leben, rein und neu geboren,

Harrest sein mit heißer Liebesgluth.

 

 

314

 

Einst ward der Tag aus Abend und aus Morgen,

So unser Dämmerlicht aus Tag und Nacht.

Es spielt im Licht der Lebensfarben Pracht

An Dunkels Grenze, fröhlich und geborgen.

 

Blick’ auf, mein Herz, zum Licht und laß die Sorgen,

Wie du aus dunkler Nacht an’s Licht gebracht;

Spielt doch, inmitten beider angefacht,

Des Lebens Reiz, tief im Gemüth verborgen.

 

Sanft dämmert Nacht in lichten Tag hinein,

Mild blickt der Tag und lächelt in die Nacht,

So lichte Freud’ und dunkles Leid im Herzen.

 

So fällt in Trauer milder Freude Schein,

Zur Himmelshoffnung wird sie angefacht,

So wird zur Sehnsucht dunkle Qual der Schmerzen.

 

 

315

 

Laß mich nicht fragen, forschen nicht und klügeln,

Wo Gottes Urtheil und Gericht ergehn:

Laß stumm anbetend tief im Staub mich flehn,

Umrauscht von seiner Todesboten Flügeln.

 

Was, will der Staub des Ew’gen Rath entsiegeln?

Zum heil’gen Schauer nur von ew’gen Höhn,

Wo Cherubim, verhüllt das Antlitz, stehn,

Kam das Gericht, die Allmacht zu entriegeln.

 

Geht Gottes Stimme über Land und Meer,

Mag wohl des Menschen Mund verstummen: laut

Verkünde nur des bangen Herzens Schlag

 

Des Unsichtbaren Nähe, groß und hehr;

Es schallt sein Zürnen in der Windesbraut,

Verkündend nah’ den letzten großen Tag.

 

 

316

 

Früh war’s, noch glänzte ein und andrer Stern

Der stillen Nacht; ob Ostens Berg, dem düstern,

Stieg silbernes Gewölk, sacht hört’ ich’s knistern

Im Buchenhain und leis Geknack von fern.

 

Und süßem Regen lauscht’ ich tief und gern

Der Zweig’ im West, der Vögel in den Nüstern;

Leis schienen sie ein Morgenlied zu flüstern:

Da war’s, als hört’ ich wandeln nah’ den Herrn.

 

Wie Zephyrhauch war seines Nahens Gang,

Und wie ein Ocean ergoß sein Frieden

Sich in des Herzens ahnungsstilles Sehnen.

 

O du, des Herzens Füll’ und Überschang,

Rief ich, so groß wie du ward mir beschieden

Das Herz: dich faßt’s; da stürzten meine Thränen

 

 

317

 

Viel tausend Arten Blümchen trägt die Heide,

und jeden Morgen hebt die Blüthenknöpfchen

Jedwedes Kräutlein mit neugier’gem Köpfchen,

Zur Sonne spähend, seiner Lust und Freude.

 

Und freundlich tritt sie her im prächt’gen Kleide

Und spendet jedem zarten Halm ein Tröpfchen

Des Himmelsthaues in sein Honignäpfchen,

Daß sich’s erquick’ und tief im Innern weide.

 

Auf Thymian und Rosmarin und Myrrhe

Senkt sich der Biene süß Verlangen nieder

Und sammelt Honig selbst von bittrer Blüthe.

 

O Mensch, mit Sorgen nicht dein Herz verwirre!

Senkt ewig doch in dir ein Strom sich nieder,

Von Himmelshöhn, der ew’gen Huld und Güte.

 

 

318

 

Sanft sucht die Erde mit dem Oceane

Hoch nach des Weltenauges Flammenschein,

Sanft blicket Sonn’ ihr tief in’s Herz hinein

Durch’s klare Aug’, daß sie der Frucht sie mahne.

 

Und liebentzückt schnell pflanzt sie auf die Fahne

Der Schönheit rings, mit Anmuth und Gedeihn

Allum sich schmückend, daß im Widerschein

Sie neu den Weg zum Sonnenherz sich bahne.

 

Und mütterlich umzieht mit Segensfeldern,

Voll goldner Saat, und dunklen Weinbergsranken

Sie ihren Leib und glüht gleich einer Braut.

 

Der Fruchtbaum glänzt, sie rauscht mit Blüthenwäldern,

Voll Leben und Gesang die Zweige schwanken. –

Beglückt das Herz, das so die Liebe schaut!

 

 

319

 

O, wär’ mein Herz von jedem Flecken rein,

Wie selig wandelt’ ich durch Frühlingsauen!

Wie würde rings der Tempel sich erbauen

Der Weisheit, ich ein Kind im Hause sein!

 

O, wär’ ich los von allem eiteln Schein,

Wie würd’ ich selig Gott in Allem schauen,

Das All in ihm und grenzenlos vertrauen,

Und Alles, was da sein, es wär’ auch mein!

 

Er, der dem Reinen seinen Sohn gegeben,

Gab mit dem Sohn demselben auch die Welt

Und Alles, Ehre, Reichthum, Glück und Leben.

 

Gesundheit, Freiheit, Frohsinns Wonne hellt

Des Hochbeglückten Blick, der ihm ergeben,

Dem Er allein, nichts außer ihm gefällt.

 

 

320

 

Ja wahr, es ist uns Allen angeboren,

Daß unser Geist empor und vorwärts dringt,

Wenn über uns, im blauen Raum verloren,

Ihr selig Jubellied die Lerche singt!

 

Wenn über schroffen Felsenhöhn, den Thoren

Des Himmels nah’, der Adler auf sich schwingt

Und siegend schwebt; zum Land, das er erkoren,

Der Kranich heimwärts seine Schaaren bringt!

 

Allein wer tilgt der Sehnsucht heil’ge Schmerzen

Hienieden nach dem unbekannten Land,

Wohin wir zielen, fest am Staub gebannt?

 

Ein Jesusblick schafft Himmelsfried im Herzen,

Da nahen Glaub’ und Hoffnung; Liebesband

Knüpft Himmel, Land und Meer an’s Vaterland.

 

 

321

 

O, nicht umsonst ist deine Welt so reich,

Dies Herz ein unerschöpflich tiefes Meer,

Leis mit dem Leben in der Wesen Heer

Mitklingend und für Freud’ und Schmerz so weich!

 

Dich kündet Alles; mich erschufst du gleich

Dem Bilde dein; und bis zur Wiederkehr

Zu deiner Wohnung gabst du rings umher

Mir Alles, als dem Sohn in deinem Reich.

 

Du willst, noch soll ich aus der Welt nicht scheiden,

Soll leben noch und thun in Raum und Zeit;

Doch warnst du mich ernst vor der Welt Gefahren.

 

Such’ ich nur dich in Allem, wird’ ich meiden

Jegliches Unheil, was mich rings umdräut,

Und unbefleckt die Seele dir bewahren.

 

 

322

 

Mich träumt’, ich sei erwacht, und durch die Gassen

Der alten Stadt, bekannt, doch wunderbar,

Trug mich mein Fuß; gesund und frisch und klar

War rings die Luft; Gram hatte mich verlassen.

 

Ehrwürdig ragten rings die Häusermassen

Und hoch die Tempel, ganz, wie einst es war,

Aus ew’gem Gold, so schien es, ganz und gar;

Kaum mocht’ mein Herz die lichte Wonne fassen.

 

Da leuchtend stieg an dunkler Kirchenecke

Mit Lebenswind der silberhelle Morgen;

Metallen rauschten süß der Bäume Zweige:

 

„Hier ist der Herr;“ ich wußt es sonder Schrecke,

Hier fester Grund; verbannt Tod, Sünd’ und Sorgen,

Und Alles rein, der ew’gen Ruhe Zeuge.

 

 

323

 

Ein Kleinstes ist der Wille, den ich hab’,

Den ew’ger Wille neidlos zugesteht

Seinem Geschöpf und Bilde: machtlos steht

Er in der Brust, ein kleiner Eisenstab.

 

Und doch zum Größten wird mir diese Gab’;

Umschließt er fest den ewigen Magnet,

Zu ew’ger Allmacht Werkzeug schnell erhöht

Der schwache sich und schwingt sich aus dem Grab’.

 

Mit ihm selbst waffnet sich allmächt’ger Wille

Und schafft durch ihn der ew’gen Weisheit Plan,

Den Lieb’ ersann, durchführend in der Zeit.

 

Des Knechtes Rüstzeug ist des Herren Fülle;

So zagt, mit solcher Rüstung angethan,

Er nimmer, selbst mit Welt und Höll’ im Streit.

 

 

324

 

Erst in der Selbsterkenntniß engem Thal

Erglänzen dir der Gotterkenntniß Höhn,

Bestrahlt vom Morgenrothe hehr und schön,

Gen Himmel ragend in dem Purpurstrahl.

 

So erst von oben steinig, öd’ und schmal

Wirst in des Herzens Nebelthal du sehn

Den Pfad sich winden und die Hügel stehn

Beraubt der Schönheit, blätterlos und kahl.

 

Strebst du hinan zum Heil auf ew’gen Hügeln,

Sehnt nach der höchsten Liebe sich dein Herz,

Darf dir nicht Gott- noch Selbsterkenntniß mangeln.

 

Vereint erst werden sie empor dich flügeln;

Du greif’ nach beiden, sei’s in Wonn’, in Schmerz:

Des Himmels Pforte schwebt in beiden Angeln.

 

 

325

 

Nach innrem Urtheil ziemt’s das Außre schlichten,

Will’ ist  Gesetz den willenlosen Dingen,

Lebend’ge Form muß todten Stoff bezwingen,

Nach Geistesplan die äußre Welt sich richten.

 

Doch Innres ist nach Obrem einzurichten;

Vergebens dichten wir, nichts will gelingen,

Wo nicht aus heil’gem Urmaaß wir empfingen

Erst Lichtesstrahl sammt Maaßen und Gewichten.

 

So führt das Schiff durch’s grenzenlose Meer

An seinen Ort die Nadel sonder Tadel,

Es sicher leitend durch die dunkle Fluth.

 

Doch über sie gebeut ein Größerer:

Die Erde ist ihr Herr, ihr Ruhm, ihr Adel:

In ihrem Zug sie wonnezitternd ruht.

 

 

326

 

Gleich stillem Meere, spiegelglatt und eben,

Wo rings umher kein Wind, kein Lüftchen wach,

Ruht eingewiegt hell in der Freude Tag,

Nicht kündend seine Tiefen uns, das Leben.

 

Kein Segel regt sich im Vorüberschweben,

Das in der Sommerbucht vor Anker lag

Seit Monden schon; träg’ sieht dem Vogel nach

In blauer Luft der Schiffsherr ohne Streben.

 

Dem Sturme gleicht das Leid; er tobt heran,

Schnell regt er auf den Abgrund, offenbar

Sind seine Tiefen, seine Schätz’ und Schrecken.

 

Korall’ und Perl’ sind drunten aufgethan

In grauser Gruft; rasch stählt sich zur Gefahr

Nun Geist und Arm, den die Orkane wecken.

 

 

327

 

Die Erde, drauf du wandelst, zuckt und bebt

Gebirge sprühn, vom untern Feu’r durchgluthet,

Empor den Brand, die Woge ebbt und fluthet

Im Ocean; im Streit ist, was da lebt.

 

So wächst der Mond und schwindet, ängstlich strebt

Er, deinem Herzen gleich, wenn es entmuthet,

Sich zu ergänzen; blutend nicht verblutet

Die Welt, die zwischen Fluch und Segen shwebt.

 

Weit auf der Erd’ herrscht siegreich die Beschwerde,

Bleich wandelt sich der Mond, und ohne Fehle

Blieb nimmer selbst der Sonne heil’ger Kreis.

 

Und, o ich fühl’s, es gleicht mein Leib der Erde,

Dem wandelbaren Monde meine Seele,

Mein Geist der Sonn’, erathmend bang’ und heiß!

 

 

328

 

Ach, ird’sche Sorge ist ein Staubmagnet,

Der Erde zieht, ein Rost, der schnell verkümmert

Den Glanz der Seele, die gediegen schimmert,

Wie Erz in angeborner Majestät.

 

Ein Maulwurf ist sie, der, was heilig steht,

Als unterird’scher Pionier zertrümmert;

Gerank, das stets den Lebensweg verschlimmert,

Den Fuß umstrickend, wie man weiter geht.

 

Ein Proteus, schnell, in jede Form zu fahren,

Bald schön, bald häßlich, wie Insectenschaaren

Den Tag verdeckend, Ruh’ uns gönnend nimmer,

 

Mit Dunst vernebelnd jeden Hoffnungsschimmer,

Ob wechselnd, wachsend doch von Jahr zu Jahren,

Blutsaugend, lähmend, herzzermarternd immer.

 

 

329

 

Gott, welche Sorgen grauenvoll und scheußlich,

Die unsre Seele oft gleich gift’gen Spinnen

Umstricken eng’, durch die wir nichts gewinnen,

Als Qual, und die dennoch so schwer abweislich!

 

Ach, jede Gottesgabe, gut und preislich,

Verekeln sie den schwergetroffnen Sinnen,

Die, von Tarantelstich erkrankt, beginnen

Heillosen Tanz, wo nichts mehr klug und weislich.

 

Doch recht geschieht uns, wenn den Fliegen gleich

Geängstigt in der Sorge Netz wir hangen

Verstrickt und nur den Tod im Centrum schaun.

 

Warum entschwand dem Blick Gott und sein Reich? –

Kein Aar wird sich im Fliegennetz verfangen;

Wir sind nur elend, weil wir nicht vertraun.

 

 

330

 

Fahr’ wohl, micht bin ich deiner Schätz’ Erkunder

Fortan, o Welt! Wohl kenn’ ich dies Kapitel,

Hohl klingt dein Erz, die Titel ohne Mittel

Sind mir bekannt und regen mir nicht Wunder.

 

Leicht fängt der Hölle Funken, wo dein Zunder

Noch weilt im Herzen; laß im schlichten Kittel

Der Weltentsagung mich trotz allem Kritel

Zufrieden ziehn, verachtend deinem Plunder!

 

Und wenn den Mann, der Ehre, Reichthumsschätze

Und Wollust hält gering, gleich mein Jahrhundert

Anstarrt, gleich wie ein Rind ´das neue Thor:

 

Verdient’s doch nicht, daß ich mich drob entsetze,

Noch bin ich selbst bei ihrem Thun verwundert;

Aufsteht des Heiles Thor, doch sie davor.

 

 

331           

 

„Er ist ein Ketzer, ist ein Pyrrhonist,

Er glaubt nicht an die Seele, an die Welt,

Hat alle Dinge auf den Kopf gestellt,

Mißbraucht die Red’, ein trüglicher Sophist.“

 

Ist dies das Dümmst’ und Schlimmste, Freunde, wißt,

So steh’ mit jenen ich auf gleichem Feld.

Wißt ihr, wie lang der Weltenbau noch hält?

Ob ewig eure Seele selig ist?

 

Ich glaub’ nicht an die Welt, noch an die Seele.

Der Tag des Herrn kommt gleich dem nächt’gen Diebe:

Wer wird allda die Welt, die Seele retten?

 

An Gottes Huld nur glaub’ ich ohne Fehle;

Aus Flammen zieht die Welt nur ew’ge Liebe,

Sie kann die Seel’ auf Ros’ und Lilien betten.

 

 

332

 

Du träge, starre, schwer’ und finstre Welt,

So kalt, so fern von Gott, oft will mich’s dünken,

Als müßte jäh der Tag des Lichts dir winken,

Schnell tödtend ihn, der dich gefangen hält.

 

Mir ist’s, als ob, der deine Massen schwellt,

Der goldne Schatz, den ew’gen Tag zu trinken,

Aufquöll’ in hell krystall’nem Wiederblinken

Leicht, licht und weich, wie vormals hergestellt.

 

Schnell zuckt durch deine Berge, Höhn und Thale

Auf Allmachtsruf, dich wonnig zu erneun,

Der Aufgangsblitz mit Morgenrothes Schimmer;

 

Purpurisch, wie bei Nacht die goldne Schale

Durch’s Dunkel, glüht dein unvergänglich Sein,

Verwandelnd deine Wesen, deine Trümmer.

 

 

333

 

Ein stummer Gram, ich weiß ihn nicht zu deuten,

Befällt mich oft, denk’ ich vergang’ner Zeit;

Gleich einem Chaos liegt sie weit und breit,

Und drüber düstre Nebelsäulen schreiten.

 

Doch schnell die Nebel auseinander gleiten,

Gedenk’ ich dein, der in der Ewigkeit

Die Zeiten ordnet; o du schnell bereit,

Gerecht zu schlichten alle Dunkelheiten!

 

So hellt der Mond, den Wolken uns verhüllen,

Doch ferne Berg’ und Thäler, Schlösser, Haine

Und Riesenfichten plötzlich uns entschleiernd;

 

Wir sehn die Wolken ihn mit Glanz erfüllen,

Doch nicht ihn selbst, nur seine Widerscheine,

Und betend auf der Höh’ erwartend, feiernd.

 

 

334

 

O hoff’ und strebe, nicht zu sehr versenke

Den trüben Geist in die Vergangenheit,

Der heil’gen Liebe frühe Erstlingszeit!

Bedenk’, wie Gott stets neue Gaben schenke.

 

Zur heil’gen Zukunft deine Blicke lenke!

Er, dem die Erstlingsknospen einst geweiht

Von deiner Liebe, neuen Segen beut

Er stets, daß er Gepflanztes nähr’ und tränke.

 

Die Zukunft trägt des Saamens neue Fülle

Und Segen für den alten und Gedeihn,

Und jeder Aussaat folgt ein Tag der Ernte.

 

Dem Tage folgt die Nacht, die reichbesternte.

Du hoff’ und streb’ und stehe nimmer stille,

Er ist nur Geben, willst du Weigern sein?

 

 

335

 

Regt Geisteswort im Frommen das Gebet,

Kann auch in luft’gen Höhn, in Erdenklüften

Der Geist des Worts Gebetserfüllung stiften,

Deß Macht durch Himmel, Erd’ und Abgrund geht.

 

Es rief zum Herrn Elias, der Prophet,

Und sieh, Gewölk entstand in trocknen Lüften,

Und regen rieselte auf welke Triften,

Die seit drei Jahren dürrer Staub umweht.

 

Wahrhaft Gebet, es kommt im Geist vom Gott,

Der kein Gebet und lehrt und in uns spricht

Und seufzt, das er nicht kann und will erfüllen.

 

Hoff’ Seele, wenn der Geist dich beten heißt

Und mit dir betet, sei voll Zuversicht:

Er gab den Durst und wird den Durst auch stillen.

 

 

336

 

Was sieht das Herz in diesem tiefen Blau

Des Firmaments das Geist und Auge tränkt,

Drin unersättlich sich der Blick versenkt,

Was will die weite blumenlose Au’?

 

Zeigt wohl Verwandtschaft diese sel’ge Schau

Mir zwischen Seel’ und Luft, der sie gedenkt?

Was einst mein Geist so klar, eh’ abgelenkt

Er von der einen Sonn’ im weiten Bau?

 

Und bricht durch die getrübte Atmosphäre

Der Seele, voll von Nacht und Ungewittern

Und Regenwolken itzt ein leiser Schimmer

 

Vom Blau der Urzeit, kündend, daß sich kläre

Ihr inn’rer Tag, wenn Nebel all’ verzittern

Und eine Sonn’ in Allem herrscht für immer.

 

 

337

 

O, wär’ ich doch die Lerch’ in blauer Luft,

Im Freien würd’ ich Tag und Nacht verbringen;

Vom Regen naß, schnell trocknet’ ich die Schwingen

Im Sonnenschein, umweht von Waldesduft!

 

O, wär’ ich doch die Lerch’ in blauer Luft,

Wie wollt’ ich weit in alle Fernen dringen,

Hoch über Ungewittern auf mich schwingen,

Entflohn der Erd’ und dumpfen Felsenkluft!

 

Nur selten flög’ zu Aehrenfeld und Weide

Des Klee’s ich abwärts; droben wär’ mein Leben,

Wo mir der Gott ein günstig Loos beschied.

 

Mein Leben wär’ Gesundheit, Frohsinn, Freude,

Und Wonne an nichts Irdischem zu kleben,

Und jeder Odemzug ein Freiheitslied.

 

 

338

 

Ich floh, um volle Freiheit zu erringen,

Nach eignem Sinn, wie Jonas, der Prophet,

Vor Zeiten floh vor Gottes Majestät,

Um anderswo sich besser zu verdingen.

 

Nur Traurigkeit fühlt’ ich mein Herz bezwingen

In banger Gottesfern’; die Brust umweht

Vom samum dieser Welt, floh zum Gebet

Mein Herz, eh’ noch die Strahlen untergingen.

 

Und ich erkannte schnell: des Menschen Loos

Besteht im Dienen; dienend frei zu sein

Und stark und freudig, ihn der Herr erschuf.

 

Doch Gottesdienst nur macht ihn frei und groß

Und stark und hochbeglückt; für sich allein

Schuf ihn der Herr, sein Dienst ist ihm Beruf.

 

 

339

 

Gesellig ist im Feld der Bienen Mühn,

Die sich im Stock um eine Fürstin einen;

Gesellig Stern im Reigentanz erscheinen,

Wenn sie bei Nacht die heil’gen Straßen ziehn.

 

Selbst Engel nicht der Engel Nähe fliehn,

Anbetend, feiernd um den Thron des Einen;

Muth naht des Pilgers Brust, Kraft den Gebeinen,

Wenn viele Pilger gleichem Ziel erglühn.

 

Laß denn auch mich mit Vielen, laß mit Allen,

So nur ein Ziel und Centrum hat gefallen

Mit mir, mich froh den Pfad zur Heimath wallen.

 

Ein tröstend Wort ist Balsam für die Herzen;

Am Tage theilen Freuden wir, wie Schmerzen,

Und schaun bei Nacht die gleichen Himmelskerzen.

 

 

340

 

O könnt’ ich dich mit mächt’gen Tönen locken,

Wie Jagdhorns Ruf von ferner Berge Hang,

Wenn früh es hallt das Schattenthal entlang

Noch vor dem Klang der hellen Morgenglocken.

 

Süß wacht im Herzen, dessen Pulse stocken,

Die Sehnsucht auf und regt sich selig bang

Zu ew’gen Glück; im Ohr den leisen Klang,

Die seel’ erwacht, wie unter Blüthenflocken.

 

O könnt’ ich dich zum stillen Eiland ziehn,

So heimlichfern und doch so wohl bekannt,

Wohin dich trägt ein unbewußtes Sehnen;

 

Wo alle Hain’ im Morgenstrahl erglühn,

Wo Sorg’ und Mißklang ewiglich verbannt,

Die Zweige rings nur Lieb’ und Friede tönen.

 

 

341

 

Wenn Lenzluft weht, wenn rings auf allen Wegen

Die Welt erwacht, wenn lieblich klingt die Luft,

Von Wald und Wiese schläfernd süßer Duft

Zum Traum uns lockt i, Lindenblütenregen,

 

Von allen Seiten strömt ein reicher Segen

Der Schönheit, tausendfältig abgestuft,

Das Leben quillt und sproßt: Da plötzlich ruft

Ein Sehnsuchtsschrei das Herz in vollen Schlägen

 

Hinan, hinauf vom Busen der Natur

An’s Herz des Vaters, von der reichen Schöne

Hinan zum Geist, der alle Schönheit ist!

 

Blau glüht ob unsrem Haupte der Azur:

Dort weilt die Liebe, lispeln Engeltöne

Sie, deren Herrlichkeit kein Mensch ermißt.

 

 

342

 

Mir tief im Herzen schlummert eine Leier,

Unsichtbar, heilig; ferner Widerhall

Ist meiner äußern Dichterleier Schall

Von ihrem Ton in stiller Sabbathsfeier.

 

Was ich verkünde, zeigt und birgt ein Schleier,

Die Urgestalt; der Melodien Fall

Entstellt verhüllend nur ihr Ideal,

Als sei ein Lügner ich und Ungetreuer.

 

Soll denn entzückt vernehmen nur mein Ohr,

Was auf der innern Leier Silbersaiten

Die Gottheit spielt und sel’ger Engelchor?

 

Verwelken, wie gebroch’ner Rosenflor,

Die Melodien, künd’ ich sie den Leuten,

Und ziehn sie auf dem Stamm zu bleiben vor?

 

 

343

 

Was selbst ich bin, daran ist nichts gelegen,

Ob ich ein großes oder kleines Thier.

Die Ceder sucht das himmlische Revier,

Der Ysop kreucht an niedern Felsenstegen.

 

Ja, alles Heil liegt an des Himmels Segen;

brennt mein Talent ein heil’ges Opfer dir,

Ist mir in dir erschlossen eine Thür,

So blüh’ ich schön auf allen meinen Wegen.

 

Nicht wünsch’ ich je ein Anderer zu sein,

Als du mich schufst; doch gern wär’ ich umkleidet,

Von deiner Gnade Licht und hehrer Würde.

 

Sie muß Vollendung der Natur verleihn,

macht Alles schön, sie ordnet, ebnet, scheidet,

Hebt selbst den Fehler der Natur zur Zierde.

 

 

344

 

Musik aus ew’ger Kunst, um Gold nicht feil,

Hat ganz mein Herz in süßer Lust bezwungen,

Getränkt mein Innerstes und sanft durchdrungen,

Gern säng’ ich euch zur Wonne und zum Heil.

 

Allein ich seh’, ein rauhes, grobes Seil

Ist durch die Harfe eurer Brust geschlungen;

Sie ist verstimmt, viel Saiten sind zersprungen,

Und mitzutönen ward ihr nicht zu Theil.

 

O, macht sie frei, besaitet neu und stimmt

Nach ew’gem Grundton sie; schön in den Hallen

Des Gottes der Natur laßt sie erschallen,

 

Der auch der Gott der Gnade. Höher glimmt

Auch mir Gesangslust, wenn mein Ohr vernimmt,

Wie himmelwärts auch eure Töne wallen.

 

 

345

 

Dem Vöglein in dem dunlen Blätterhaus,

Wo still es wohnet unter Blüthenkronen,

So sanftgewiegt, wie Fürsten nicht auf Thronen,

Geht nie das Lied der süßen Kehle aus.

 

Bei Regen, Sturm und lautem Blattgebraus

Hofft es geduckt und will sein Stimmlein schonen;

Doch willst du ihm sein Lied durch Störung lohnen,

Husch ist unmuthig es zum Busch hinaus.

 

Und solch ein Vöglein ist des menschen Seele;

Soll süß harmonisch dir ihr Lied erklingen,

Dring’ störend nicht in ihren Kreis hinein.

 

Dort ist ihr Recht in traulich dunkler Höhle,

Du weißt nicht, wie ihr ist; sie schlägt die Schwingen,

Trittst du zu nah’, und läßt dich schnell allein.

 

 

346

 

Wohl möcht’ auch ich durch neue Weis’ und Wendung,

Nach heut’ger Sitt’ erfindungsreich und schön,

In seltnen Bildern Würd’ und Reiz erhöhn

Deß, den zu preisen einzig meine Sendung.

 

Doch Hirn und Hand, wie fern ach der Vollendung

Läßt ihre Schwachheit diese Zeilen stehn!

Doch seht ihr scharf, mögt ihr es schimmern sehn

Durch schwarzer Lettern ungeschlachte Blendung.

 

Wohl seht ihr dann, daß thöricht nicht die Liebe,

Die mich bewegt, entzückt, erfüllt, begeistert,

nicht klein der Schönheit Licht, für die ich glühe.

 

Billigt ihr mich und theilet gleiche Triebe

Für ihn, der aller Herzen sich bemeistert,

Sei’s, daß mein Witz nur dürft’ge Funken sprühe.

 

 

347

 

„Klein ist der Fortschritt, welchen macht das Gute

In dieser Welt, doch ist es selbst nicht klein.

Mag drum getrost, wer guten Willens, sein,

Wirkt er für’s Gute kühn mit Gut und Blute.

 

O glaubt, nicht liegt in dem, was groß, das Gute;

was herrlich scheint, ist oft nur eben Schein!

Im Guten liegt das Große; nur gemein

Ist andre Größe,“ sprich mit festem Muthe.

 

Und still, geräuschlos, wie der Sonne Lauf,

Allmälig reifend, was im dunklen Schooße

Noch schläft, umhegt von der Verborgenheit,

 

Thut segnend mild den Schatz das Gute auf.

Wild prahlerisch mit mächt’gem Sturmgetose

Wirkt Böses, das zerstörend zur zerstreut.

 

 

348

 

Glückselig, wer nicht großen Plan entwarf

Für dieses Leben; ach, nicht viel zu holen

Ist in der Welt. Es brennen uns die Sohlen

Zur Zukunft, daß sie unser Loos entlarv’.

 

In Götterwonne strahlend, treibt uns scharf

Die Gegenwart; doch heimlich still verstohlen,

Wie in dem Laub die duft’gen Nachtviolen,

Lebt wohl am besten, der nicht viel bedarf.

 

es ras’t der Sturm um steile Felsengipfel

Und schleudert fern zur Ebne Staub und Kiesel

Und Ast und Baum, die Thürme trifft der Blitz;

 

Das Veilchen lauscht dem Rauschen heil’ger Wipfel

Im Frühlingssturm, es lauscht dem Bachgeriesel,

Sein kleines Loos ist reichlicher Besitz.

 

 

349

 

Weg eitler Sorgen nichtiges Gewirre!

Nach außen horch, o Herz, nach innen taub;

Schon schwingt sich auf’ eh’ noch entkeimt das Laub,

Der Lerche süß melodisches Geschwirre.

 

O, schweif’ umher in lieblich holder Irre

Und lausche rings. Dem lauen West zum raub’

Gib jedes welke Blatt und allen Staub

Des Winters und die freudenlose Dürre.

 

Fast hätt’ ich, in die stille Welt versenkt,

Drin geistig sich nur die Idee entfaltet,

Vergessen, wie sie außen sich gestaltet,

 

Wo sie als Leben sanft den Wagen lenkt

Des weiten All, das ihre Kraft durchwaltet,

Die, was da lebt, mit ihrer Wonne tränkt.

 

 

350

 

Im leichten Wehen linder Frühlingslüfte,

Die bunten Schwingen herrlich ausgebreitet,

Der Schmetterling durch Blumenbeete gleitet

Und trinkt den Balsam ihrer süßen Düfte.

 

Aus tiefem Schlummer weckten ihn die Lüfte,

Und durch ihn ward ein Zeichen uns bereitet,

Wie Psyche ihrer Hülle einst entgleitet,

Wenn sie umwogen Paradiesesdüfte.

 

Dies helle Bild auf edel ernstem Grunde

Erscheint als Bild vom herrlichsten Gemüthe,

Wo Heiterkeit und tief Gefühl im Bunde.

 

In dieser Deutung mag nur dem es gleichen,

Der da gewinnt des heitern Sinnes Blüthe

Im ew’gen Licht, im wahren Himmelszeichen.

 

 

351

 

Vergebens send’ ich aus die Bienenschwärme

In alle welt, mir Honig einzutragen;

Fort summen sie, doch ihren Dienst versagen

Die Kleinen, ihnen fehlt die Frühlingswärme.

 

Betäubt vom waldsturm, von dem Wasserlärme

Der Mühlenräder sie gar weit sich wagen;

Von Regenguß und Schloßen wohl erschlagen

Kehrt keine heim, daß drob mein Herz sich härme.

 

Leer steht der Stock; und will denn nichts verfangen,

Wie es sich müht, mein Sehnen und mein Sinnen:

Du heil’ge Hand, reich’ deinen Honig mir,

 

Mir deinen Honig, deine Milch; empfangen

Soll, wer da fleht. Laß Trost auch mich gewinnen,

Des Süßen Süßestes liegt ja bei dir.

 

 

352

 

Und eilt mein Geist, den Schmerzensstiche weckten,

Entschlossen nun der Zufluchtsstätte zu,

Der innern Friedenslaube sel’ger Ruh’,

Verfolgen doch ihn Schaaren von Insecten.

 

O, nicht genug, daß sie dich draußen neckten,

In Tagesgluth; du fliehest und im Nu

Bist des Vampyrenschwarmes Beute du,

Bunt gleißend summt’s um dich von allen Secten.

 

Und trägst du stumm und öffnest doch dein Herz

Der heiligen Betrachtung goldnem Strahle,

Und zieht dich’s sanft in licht’re, höh’re Zonen,

 

Schnell zerrt ein Faden wieder erdenwärts

Das arme Vöglein. Mühle braust im Thale,

Und eng’ im Frohne mußt du stets noch wohnen.

 

 

353

 

Die Ruhe ohne Thätigkeit ist Tod,

Doch Thätigkeit, die ohne Ruh’, ist Hölle.

Friedlich Bewegung an der heim’schen Stelle,

Doch stürmisch außer ihr, voll Angst und Noth.

 

Dem Nichts erglänzt im Werden Morgenroth

Wahrhaften Sein. An sel’ger Himmelsschwelle

Schon scheint das wesen wärmend, licht und helle,

Das sich zur ew’gen Stütz’ und Speise bot.

 

Doch im Verwerden droht die Mitternacht

Voll finstrer Angst, wo Höllenflüsse rauschen,

Qualvoll entfernt von ew’ger Liebe Lichte.

 

O, woll’ und wirke, wo das Auge lacht,

der heil’gen Liebe! flieh’ das finstre Lauschen

Des Höllenaug’s, so jäh dich macht zu nichte!

 

 

354

 

Die Todtenglocke hallt in dumpen Schlägen

Weit durch die Stadt; am fernen Hag, bereift

Von kühler Märznacht, leis ihr Summen schweift

Und tritt dem Wandrer mahnend ernst entgegen.

 

Gleich einem Bahrtuch, Grau’ngewölke legen

Sich auf die Gegend, scharz und grau bestreift;

Scharf kalter Frühwind durch die Hecken pfeift

Und grause Oede herrscht auf allen Wegen.

 

Verzweifelnd grinzt das Antlitz mir entgegen

Runzlichter Zeit; ihr Nam’, Vergänglichkeit,

Grau, unruhvoll ihr Blick, doch weiß die Zähne.

 

O, wohnt im Erdenstaub kein ew’ger Segen,

Erbt, was vergeht, nicht die Unsterblichkeit,

Wer weiht fortan den Todten eine Thräne?

 

 

355

 

„Was wäre Schein, wenn ihm das Wesen fehlte,

Und Wesen, wär’ es, wenn es nicht erschiene?“

So spricht mit eitel selbstgefäll’ger Miene

Die Seele, die für wesen Schein erwählte.

 

Weh’, wenn kein Kleinod sie im Busen hehlte,

Wenn, daß die welt nur huldigend ihr diene,

Sie ganz, zu zeigen, wie sie blüh’ und grüne,

Sich ausgelegt, und, was sie sei, erzählte!

 

Wenn keine Lust, kein Leid und keine Thränen

Sie in dem Herzen heimlich hielt verborgen,

Sie jede edle That zur Schau gestellt.

 

Sie ist gemein und kennt kein heil’ges Sehnen,

Nicht regt das Aug’ ihr heimlich süße Sorgen,

Deß Blick’ in unsres Herzens Tiefen fällt.

 

 

356

 

Viel sprachen ihrer dort mit flinken Zungen,

Wie wasser rauschen am verfluchten Ort

Der Wüst’, an deren Ufern rings verdorrt

Die Rosen stehn, kein Kräutlein vorgedrungen.

 

Und endlos ward die Mühle umgeschwungen

Heillosen Weltsinns, knarrend fort und fort;

Auf dorn’gen Felsen saß gequält ich dort,

Wo mir kein Klang, Geklingel nur erklungen.

 

Und sieh’, da sprach in des Momentes Pause,

Des einzigen, ein Einziger ein Wort,

Rein, wahr und tiefgekühlt, ein goldner Strahl.

 

Und mit dem Wort war ich im Vaterhause,

Ein Schlüssel war’s zum sel’gen Heimathsport:

Fort riß mich’s aus der Andern Jammerthal.

 

 

357

 

Oft suchet, müd’ des Schwankens und des Schwebens,

Die Seele Klarheit für den wirren Sinn,

Des Friedens rast, der Freude Hochgewinn,

Doch finster bleibt’s und öd’ trotz allen Strebens.

 

Ein Blick empor zum Friedensheld: vergebens

Nie richtet sich der Seele Aug’ auf ihn;

Tief innen ein Gemälde schnell erschien

Klar aus der Gallerie des eignen Lebens.

 

Und lockt es gleich mehr Reu- als Freuden-Thränen

Aus des Betrachters schmerzerfüllten Blicken,

Doch rühmt und dankt er glücklich seinem Herrn,

 

Sieht er all’ seine Huld mit Hochentzücken

In jenem Bild, und wie er nie war fern;

Und mächtig zieht sein Herz ein Liebessehnen.

 

 

358

 

Als Kind ging ich in einsam stiller Gegend,

Herbstabend war’s und tief und klar die Luft,

An Haselwäldchensaum in Bergesschluft,

Das grüne Hügel schützten rings umhegend.

 

Ein Lufthauch kam, nur leis die Blätter regend,

Und tiefer drang ich in die grüne Kluft;

Die Sonne sank, erquickend süßer Duft

Des Herbsts umgab mich, tief mein Herz bewegend.

 

Wie Gold erglüht’ der Blätter Baldachin

Vom letzten Strahl der Sonne hier und dort,

Im dunklen, duft’gen Hain, rings herrschte Stille.

 

Da hört’ ich Glockenton herüberziehn

Vom fernen Kirchlein, hallend fort und fort:

„Hier ist es leer, dort obend wohnt die Fülle.“

 

 

359

 

Am wald’gen Abhang aus dem Felsenmunde

Hinab zu Thal die Silberwellen gleiten;

Süß rauschen sie, als ob sie sich erfreuten

Des neugefundnen Tags in weiter Runde.

 

Am wald’gen Abhang tief im Felsengrunde

Hallt dumpf und hohl, wie ferner Glocken Läuten,

Der Wellen Klang bei Tag und Nacht, sie deuten,

Das Leben hier noch nicht mit Licht im Bunde.

 

Und also scheints in ernstern, stillern Stunden

Aus meines Busens Tiefen oft zu klagen,

Gleich jenem Quellgeseufz’, und ach vergebens!

 

Wie Glocken tönt’s, doch mag ich nicht erkunden,

Ob’s Grabgeläut, ob sie zum Sturm anschlagen;

Des Todes Boten, ob des ew’gen Lebens!

 

 

360

 

Ist Leben Lieb’ und Lieb’ nicht ohn Verlangen,

So ist auch immer ohne Schmerz das Leben;

So müssen alle Kreaturen streben,

Im Trennungsschmerz, Verlornes zu umfangen.

 

So schmachtend sehnen sie im ew’gen Bangen,

Auf Erd’, im Wasser, die in Lüsten schweben.

Ach Leben, Lieb’ ist innres Schmerzerbeben,

Frei Unbekanntem selig anzuhangen.

 

Schmerz ist die Wurzel alles deines Strebens,

Genusses, Wollens auf der Bahn des Lebens;

Es dir zu bergen, suchst du stets vergebens.

 

O, welch ein Gut ist’s, das wir all’ verlassen,

Das wir uns sehnen wieder zu umfassen,

Das müd’ uns treibt und quält bis zum Erblassen?

 

 

361

 

Oft sah ich Mondenlicht die Welt verschönen,

Wald, Felder, Berg’ und Thal von Fried’ umwunden,

In sel’ger Ruh’, als sei anjetzt verschwunden

Der Kreaturen ringend banges Sehnen;

 

Als möchten sie als Friedensfürsten fröhnen

Dem stillen Mond, in dem sie Ruh’ gefunden,

Der sanft geheilt mit Balsam Aller Wunden;

Doch kehrt der Tag, mein Wähnen zu verhöhnen.

 

Und also wähnt’ ich oft im Element

Des sel’gen Friedens, schon im reinsten Lichte

Des Himmels, weil, ohn’ allen Streit, die Seele,

 

Ach nur zu kurz! Was uns vom Urquell trennt,

Der finstre Streit macht Alles schnell zu nichte,

Und furchtbar tobt’s in dunkler Kerkerhöhle.

 

 

362

 

Süß schläft der Knabe in des Traumes Pforten,

Gesundheit, Jugend, sel’ger Himmelsfriede

Auf Mund und Antlitz, wang’ und Augenlide.

Die Blumen in den Händchen halb verdorrten.

 

Ihm naht kein Mißgeschick, kein finstres Morden;

Der engen Schaar voll Menschenlieb’ und Güte

Umschwebt ihn schützend, sieht die Jugendblüthe

Und rührt sein Herz mit himmlischen Accorden.

 

Und Morgentraum durchzieht die junge Seele,

Noch ungefurcht von finst’rer Sorgen Spuren,

Umgaukelnd ihn gleich bunten Schmetterlingen,

 

Herabgesandt aus Paradieses Fluren,

Daß ew’ge Lust schon hier sich ihm nicht hehle,

Daß wach er dorthin richte seine Schwingen.

 

 

363

 

Auf einem Gottesacker früh im Lenzen,

Wo weid’ und Flieder manches Kreuz verhingen,

Sah eine Schaar von weißen Schmetterlingen

Als Knab’ ich einst im Sonnenscheine glänzen.

 

Die hingen auf den frischen Rautenkränzen,

Die regten flatternd ihre leichten Schwingen

Im kühlen West, die an der Distel hingen:

Sie schienen Geister an des Lebens Grenzen.

 

Erstandne Seelen schienen sie, die neu

Zu Licht und Leid des Erdentags, der Sonne

Zurückgekehrt, allein nicht froh und glücklich.

 

Bin ich begraben, wo und wann es sei,

So dacht’ ich, sei still ruhen meine Wonne,

Bis Gott mir ruft; dann komm’ ich augenblicklich.

 

 

364

 

Ach Schmerz und Täuschung liegen auf der Lauer

Im Hinterhalt, wo heitrer Tag sich zeigt.

Du, wenn dein Glück sich liebend niederbeugt,

Hab’ Acht, bald folgen dunkle Regenschauer.

 

Schnell sinkt des Lebens Blume welk in grauer

Verödung hin, der nichts an Anmuth gleicht.

Doch wandelt oft der Herr, wenn Alles schweigt,

In Geistesfreude tiefe Seelentrauer.

 

Ja Seelenschmerz ist oft selbst Geisteswonne.

Wo unter Dornen, pflückst du oben Rosen,

Nacht in den Thälern, auf den Gipfeln Tag;

 

Halb in der Nacht nur strahlt dem Mond die Sonne,

So ew’ges Licht dem Irdischhoffnungslosen,

Geht Welt zur Ruh, wird Sternenhimmel wach.

 

 

365

 

Pflückst Blumen du, die süß und reizend schienen,

Die duftend zart in allen Farben glühn,

Und reicht sie lächelnd deiner Freundin hin,

Und dankt sie sanft mit Augen dir und Mienen;

 

Und siehst den Lenz du blühen rings und grünen,

Fühlst tausendfachen Zauber dich umziehn:

Freund, keine Blume glüht, es sproßt kein Grün

Hienieden, denn ob Gräbern und Ruinen.

 

Und selbst der Schöpfung weite Herrlichkeit,

in Licht und Leben leuchtend Gott zur Ehre,

Birgt des gefallnen Engels Grabesspur.

 

Es sproßt die lichte Lust aus dunklem Leid,

Der Tag hat Schatten, Freude eine Zähre,

Und Winter folgt dem Lenz auf jeder Flur.

 

 

366

 

`S ist tiefste Nacht; matt flimmt der Ampel Schein,

Auch neu gefüllt wird sie so lang nicht brennen,

Bis Sorg’ und Leid vom meinem Haupt sich trennen,

Die nächtlich sich bei mir zu weilen freun.

 

An meinem Herzen nagt der Sehnsucht Pein

Nach seiner Näh’, den keine Namen nennen,

Den liebentflammt doch unsre Herzen kennen;

Und ach noch ist’s nicht dieser Schmerz allein!

 

Steht mir zur Rechten Sehnsucht hingeschmiegt

Auf milder Hoffnung Arm, die sanften Blicks

Mir süße Sorge nach der Heimath regt,

 

Steht mir zur Linken, die sich nimmer fügt,

Wie ich auch ring’, Erinn’rung vor’gen Glücks,

Die stets dem Herzen neue Wunden schlägt.

 

 

367

 

O Weltverdruß, o heil’ge Lebensöde,

Wie mächtig habt ihr rings den Tag umschattet!

Natur ist sprachlos, ohne Klang und Rede,

Selbst Freundeswort, das Herz zum Tod ermattet.

 

Das Glück, das ihr mir einst zu bringen hattet,

Ihr Tag’ und Stunden, scheint erschöpft und jede

Hoffnung umsonst; mit trüben Qualen gattet

Sich jede Aussicht, bringend neue Fehde.

 

O du, der ob des Herzens Mitternächten

In ew’gem Glanztag wohnt, sieh’, dürr und trocken

Ist nun mein Herz und leichtlich anzuzünden!

 

Send’ einen Blitz von deiner heil’gen Rechten

Der Lieb’ in’s Herze, dessen Pulse stocken,

Laß hochentflammt es deine Huld verkünden.

 

 

368

 

Weh uns, die Aerndte! Sommer ist vorüber,

Stumm weit das Feld, der Vögel Lieder starben,

Kalt steht der Hain in bunten Todesfarben,

Durch Wolken blickt die Sonne trüb’ und trüber!

 

Weh uns, erschallt’s hinüber und herüber,

Es kam der Tag, wir haben keine Garben,

Leer sinkt die Hand, nichts ist, was wir erwarben,

Weh, weh uns, faule Zög’rer und Verschieber!

 

Verkauft uns Trauben, Oel und volle Aehren!

Sind Schönheit, Stärke, Ruhm uns doch geblieben

Und Geld und Gut, o bei der Ewigkeit!

 

Weh euch, nichts Ird’sches steht annoch in Ehen,

Hier gilt nur Glauben, Schaffen, Hoffen, Lieben

Und fester Will’, ausdauernd in der Zeit.

 

 

369

 

Und wenn die Nebel enger sich verdichten,

Wenn Todesnacht stets grauser uns umdroht,

Uns Zweifel ängsten, die kein Machtgebot

Von ird’schen Lippen stark genug zu schlichten;

 

Wenn wir vergebens Rah’ und Steuer richten

Auf sturmempörtem Ocean, kein Boot

Der Rettung naht, Untiefen rings das Loth

Verkündet, die nur Untergang berichten;

 

Besteigt, ein finstrer König, seinen Thron

Selbst das Gewissen, will das Herz die Reue

Und Todesfurcht die Seele wild verklagen:

 

O, auf dem Schifflein weilt der Menschensohn

Nicht Grenzen kennt sein Lieben, seine Treue,

Vertrau ihm nur, so darfst du nicht verzagen.

 

 

370

 

O denke mein am Tag der bittern Schmach,

Der kalten Oed’ und todesbangen Dürre,

Wenn fern mir deine Gnad’ im Weltgewirre

Sich nun entzog und fast mein Herz erlag!

 

O schwärzer, als die Nacht, ist jener Tag,

Wenn, Irrlicht gleich ob Süpfen, nur Geflirre

Des Wahns um uns voll Schmerzen, zag und irre

Das Herz erbebt: Herr, sei dann für uns wach!

 

Wie in des Sturmes tiefster Mitternacht

Noch der Pilot, wenn jeder Stern verschwunden,

Mit fester Hand des Schiffes Steuer lenkt;

 

So du das Herz, bis jungen Frühroths Pracht,

Dein Licht, ersteht, uns Gnade hält umwunden,

Die Tausendfach Verlornes wiederschenkt.

 

 

 

 

è weiter